Seite wählen

„Der Mensch der Antike ist uns ein Rätsel“, so Amelie Rist, die den literarischen Teil des Abends bestritt. Und antike Mythen geben uns Rätsel auf, dem antiken Menschen dienten sie aber auch zur Enträtselung fremder, unerklärlicher Begebenheiten. Umso wichtiger können uns heute Mythen sein, ist doch auch Vieles für uns trotz aller Technik nicht erklärlich.

Alle Beteiligten des außergewöhnlichen literarisch-musikalischen Abends machten es sich zur Aufgabe, die Ideenwelt der griechischen Mythologie sowie deren Protagonistinnen und Protagonisten erfahrbar, spürbar zu machen. Im steten Wechselspiel standen antike oder die Antike aufgreifende Texte – Erzählausschnitte, Berichte, Briefe, Lyrik – der musikalischen Umsetzungen und Deutung gegenüber, bisweilen verschmolzen sie. So fand sich unter anderem die schöne Aphrodite vertont in Brahms Rhapsodie g-Moll op.79 Nr.2, virtuos am Klavier umgesetzt von Florian Wimmer, der freude- und luststrotzende Dionysos wurde musikalisch umgesetzt von Ella Ge mit Paul Constantinescus Toccata. Orpheus fand Anklang in Chopins Prélude e-Moll op. 28 Nr. 4, interpretiert von Joline Wagner, die kriegerische Athene wurde musikalisch umgesetzt von Pia Vorwalder auf der Querflöte in Johann Sebastian Bachs Orchestersuite h-Moll, Andreas Weihe interpretierte den verdammten Sisyphos und die tragische Medea am Klavier. Und es fiel auf: ganz viel Moll passend zur Tragik der meisten Szenen und Figuren. Zu vernehmen war das nicht nur in der musikalischen Umsetzung, sondern korrespondierend in der Vortragskunst der Texte durch Amelie Rist: mal sachlich-distanziert, mal tragisch-dramatisch. Aber auch traurig und sehr nachdenklich. Clemens Reißenweber (Violine) sowie Marcus Reißenweber (Klavier) schlossen den Abend jedoch fröhlich gestimmt mit Philemon und Baucis in der Interpretation des 1. Satzes von Brahms Violinsonate G-Dur op. 78. Die Virtuosität in Textvortrag und musikalischer Umsetzung, das Wechsel- und Zusammenspiel von Wort und Melodie machten Mythen und antikes Denken für das zahlreiche Publikum erlebbar. Ein großer Abend, der nachhallt.

Alexander Rotter