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„Nie wieder“, das waren die wenigen Worte, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am 23. Januar 2020 auf Deutsch gesprochen hat. Anschließend formulierte er: „Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.“

Diesen Wunsch formulierte auch die Holocaust-Überlebende Hédi Fried, deren Aufzeichnungen „Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden“ im Mittelpunkt des Holocaust-Gedenktags am Gymnasium Puchheim standen: „Der Holocaust ist geschehen. Wird er vergessen, dann wird er wieder geschehen. Deshalb sollte die Schule dafür sorgen, dass die Kinder die Geschichte kennen, bis ins kleinste Detail, dass sie wissen, was in Deutschland zwischen 1920 und 1945 vor sich ging.“ Es sei auch wichtig, so Hédi Fried, dass man mit der Vermittlung früh anfange und nicht erst im Schulunterricht der 9. Klasse. Denn „[u]m ein echtes Verstehen mit tiefer Einsicht zu erzeugen, muss sich der Unterricht ans Herz richten“ (S.143).

Gerade uns Lehrerinnen und Lehrern kommt bei der Vermittlung und der Erinnerung an die Shoah eine wichtige Rolle zu. In einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, Holocaust-Überlebende in die Schulen einzuladen und in einer Zeit, in der sich Antisemitismus, Hass und Hetzte immer weiter ausbreiten, müssen wir einen Beitrag leisten, indem wir die Schülerinnen und Schüler schon früh an die Themen Holocaust und Antisemitismus heranführen.

Aus diesem Grund waren es auch die Sechstklässler, an die sich die Botschaft des Holocaust-Gedenktags zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar insbesondere richtete. Den Anforderungen unserer Auszeichnung „Schule ohne Rassimus – Schule mit Courage“ Rechnung tragend waren sie in die Aula geladen, um dort gemeinsam mit ihren Lehrkräften den einführenden Film „Der Krieg und ich“ anzuschauen, in dem ein Mädchen die Gräuel von Auschwitz überlebt und von den alliierten Truppen befreit wird. Moderiert wurde die Auftaktveranstaltung von Schülerinnen und Schülern der 9m+ – Klassen, die sich bereits zuvor mit Mobbing, Rassismus und Hasssprache in den sozialen Medien auseinandergesetzt hatten und den Gedenktag zum Anlass nahmen, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler vor antisemitischen und rassistischen Inhalten in diesen Netzwerken zu warnen. Im Anschluss daran waren die einzelnen Klassen eingeladen, sich in der Schülerlesebibliothek einzufinden, wo ihnen die Lehrkräfte Frau von Lippmann-Rosenberger, Frau Stemmer-Rathenberg und Herr Rotter Antworten zu ausgewählten Fragen aus Hédi Frieds Buch vorlasen. Dabei handelte es sich um Fragen, die Hédi Fried auf ihren vielen Reisen durch Schulen gesammelt und zusammengetragen hat und bei deren Beantwortung sie sehr persönlich Auskunft über ihre Erfahrungen im Konzentrationslager gibt. Abschließend hatten die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, ihrerseits Fragen zu dem Gehörten zu stellen, dabei zeigte sich, dass das Interesse an dem Thema sehr groß war. Viele weitere neu angeschaffte Bücher zum Holocaust für alle Altersgruppen können von den Schülerinnen und Schülern aus der Schülerlesebibliothek ausgeliehen werden.

Dr. A. Stemmer-Rathenberg, E. v. Lippmann-Rosenberger, A. Rotter

Besprechung (#lesen.bayern)

Bei dem Buch mit dem Titel: „Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden“ handelt es sich um einen bewegenden Zeitzeugenbericht der mittlerweile 95-jährigen schwedischen Autorin und Psychologin Hédi Fried, die – zusammen mit ihrer Schwester Livi – als Einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat. Hédi Fried, die seit über 30 Jahren Schulen und Universitäten in Schweden besucht, hat in dem vorliegenden Band Fragen gesammelt, die ihr von Jugendlichen gestellt wurden. Die Fragen sind chronologisch angeordnet. Sie beginnen mit ihrem Leben und wie es dazu kommen konnte, dass Hitler die Juden hasste. Weitere Fragen betreffen ihre Zeit in Auschwitz und Bergen-Belsen, wo sie von 1944 bis 1945 gefangen war. Im letzten Teil des Buchs finden sich Fragen zu ihrer Befreiung, ihrem Leben nach dem Holocaust und zur aktuellen politischen Situation. Immer wieder betont Hédi Fried das unglaubliche Glück, das ihr widerfahren sei, das Grauen überlebt zu haben. 1924 in Sighet in Rumänien geboren und aufgewachsen, gehörte Frieds Familie zu denjenigen Juden, die erst in der letzten Phase des Kriegs in die Hände der Deutschen fielen. 1944 hat man die Familie nach Auschwitz deportiert, wo die Eltern der jungen Frau gleich nach der Ankunft ermordet wurden. Nach ihrer Befreiung 1945 zieht Hédi Fried zusammen mit ihrer Schwester nach Schweden, wo sie noch heute lebt. Auf die vielen Fragen antwortet Hédi Fried ohne Wut oder Anklage. Dabei betont sie immer wieder, dass es keine dummen Fragen gibt, auch  keine verbotenen, jedoch Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Durch ihre klar formulierten und oft sehr persönlichen Antworten bekommt man als Leser nicht nur einen lebendigen Eindruck von dem Grauen, dem Hédi Fried und ihre Schwester ausgesetzt waren, sondern auch von den unfassbaren Schikanen gegenüber den Juden im KZ und den wenigen Momenten der Hoffnung, das Lager zu überleben – alles Momente, die einem beim Lesen unter die Haut gehen. Auf die Frage, was das Schlimmste gewesen sei, was sie erlebt habe, antwortet Fried: „Der Moment, in dem ich von meinen Eltern getrennt wurde.“ Es wird aber auch deutlich, dass das, was einmal geschehen ist, immer wieder – wenn auch in veränderter Form – passieren kann. Es seien gerade die kleinen gesellschaftlichen Veränderungen gewesen, die sich damals immer mehr verdichteten, auf die die heutige Generation achten und reagieren solle. Es gehe darum, Ungerechtigkeiten, die man damals schweigend in Kauf nahm, in der Hoffnung, alles komme doch noch ganz anders, heute nicht einfach hinzunehmen, sondern sich gleich zur Wehr zu setzen. So lautet die klare Botschaft, die Hédi Fried den jugendlichen Zuhörern mit auf den Weg gibt. Und natürlich nie zu vergessen, was passiert ist!

Bei „Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden“ handelt es sich um ein wichtiges und unverzichtbares Buch. Die eindringliche Sprache, die klaren und gerade für Jugendliche sehr offenen Antworten helfen das Geschehene zu verstehen und liefern einen guten Anlass, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern über den Holocaust, Antisemitismus und Rassismus zu sprechen. Ausgewählte Fragen eignen sich schon ab Klasse 5 sehr gut zum Vorlesen. Bereits hier kann man den Schülerinnen und Schülern verdeutlichen, wie das Leben jüdischer Familien immer stärker eingeschränkt wurde, wie diese zunehmend ausgegrenzt wurden und was es bedeutet, die Heimat verlassen zu müssen.

Dr. Anke Stemmer-Rathenberg